Ein Heimatschein aus dem Jahr 1866

Gerriet Stenvers

Was war denn in früheren Zeiten der Heimatschein für ein Dokument und welche Bedeutung hatte er für seinen Inhaber?

Nun, früher war „Heimat“ ein individuelles Rechtsgut, im Regelfall erworben durch die Geburt, durch die der Mensch in die Gemeinde seines Geburtsortes eng eingebunden war. Das Dokument, welches das Heimatrecht dokumentierte, war der Heimatschein, gleichzeitig war es auch ein Ausweispapier für den Betreffenden.
Das Heimatrecht bedeutete, dass die betroffene Person im Falle persönlicher Not zu jeder Zeit in die Heimatgemeinde zurückkehren konnte. Dort hatte sie Anspruch auf notwendige Unterstützung (Unterbringung und Beköstigung). Das Heimatrecht war unveräußerlich und nicht übertragbar. In den Staaten des Deutschen Bundes (1814-1866) wurde es regelmäßig durch Geburt, Aufnahme, Heirat oder Anstellung in einem öffentlichen Amt erworben. Der Verlust trat nur infolge des Erwerbs einer anderen Staatsangehörigkeit oder eines anderen Heimatrechts ein.

Der Heimatschein als Ausweispapier war erforderlich, wenn man den Geburtsort für weitere Entfernungen oder längere Zeit verließ. Man benötigte das Dokument, um sich gegenüber Behörden oder an den zahlreichen Grenzen, die es damals noch innerhalb Deutschlands gab, auszuweisen. Es war auch das notwendige Dokument, um Einlass durch das Stadttor in eine Stadt zu erhalten.

Man brauchte es darüber hinaus, um sich an anderen Orten anzusiedeln oder um dort zu arbeiten. Wer dort jedoch arbeitslos wurde oder verarmte und kein neues Heimatrecht erreicht hatte, der wurde in seine zuständige Gemeinde zurück verwiesen und dies ggf. auch gegen seinen Willen durch die Organe der Obrigkeit durchgesetzt.

Abb.: Diorama (Wandbild) von Berliner Zinnfiguren (Foto und Sammlung des Verfassers)

Das Diorama zeigt eine hübsche Szene mit Zinnfiguren bei der Kontrolle durch Stadtsoldaten am Stadttor im Zeitalter des Biedermeiers.

In meinem Besitz ist das Dokument eines ehemals kurhessischen Heimatscheins von meinem Urgroßvater aus dem Jahr 1866. Dieses Dokument ist nicht nur als Beleg interessant, sondern beweist auch anschaulich das geschichtliche Ergebnis des Deutschen Krieges für das Schicksal Kurhessens in diesem Jahr. Es zeigt, wie Preußen die Annexion von Kurhessen nach dem Krieg dokumentierte. Allerdings hatte man augenscheinlich weder einen neuen Vordruck, noch ein preußisches Siegel für dieses Dokument zur Hand und beglaubigte mit hessischem Siegelabdruck.

Der Deutsche Krieg (oder Preußisch-Österreichischer Krieg) von 1866 war die kriegerische Auseinandersetzung zwischen dem Deutschen Bund unter Führung Österreichs einerseits und Preußen sowie dessen Verbündeten andererseits. Eigentliche Ursache für den Deutschen Krieg war die Rivalität von Österreich und Preußen im Deutschen Bund. Österreich galt als die Präsidialmacht und wollte seine Stellung bewahren sowie den Deutschen Bund im Wesentlichen erhalten. Preußen hingegen war bestrebt, den Deutschen Bund in einen Bundesstaat umzuwandeln. Als Österreich im Sommer 1866 die Schleswig-Holstein-Frage vor den Bundestag brachte, sah Bismarck darin einen Bruch der getroffenen Vereinbarungen. Die preußische Regierung legte den preußischen Bundesreformplan am 10. Juni 1866 den übrigen deutschen Staaten vor. Der Plan skizzierte einen kleindeutschen Bundesstaat ohne Österreich. Zu diesem Zeitpunkt war Preußen bereits ins österreichisch verwaltete Holstein einmarschiert; damit eskalierte der Konflikt zwischen den beiden Großmächten des Deutschen Bundes. Österreich beantragte beim Bundestag die Mobilisierung von Bundestruppen zwecks einer Bundesexekution wegen verbotener Selbsthilfe Preußens. Am 14. Juni stimmte der Bundestag dem Antrag mehrheitlich zu und ernannte bald darauf Prinz Karl von Bayern zum Bundesfeldherrn. Preußen verwies auf den Bruch der Bundesverfassung und erklärte den Bund für aufgelöst.

Unmittelbar danach begann der Krieg. Während des Krieges gelang es Österreich nicht, die Truppen der bundestreuen Staaten unter einem gemeinsamen Oberbefehl zu vereinen. Der Krieg dauerte nur wenige Wochen im Juni und Juli 1866. Die deutschen Bundestruppen waren schon Ende Juni geschlagen bzw. kapitulierten. Hannover kapitulierte trotz seines Sieges am 27. Juni gegen preußische Truppen bei Langensalza am 29. Juni 1866. Österreichs Nordarmee wurde am 4. Juli in der Schlacht bei Königgrätz von Preußen entscheidend besiegt.

Schlacht bei Königgrätz
(Abb. Gemälde von Georg Bleibtreu, gemeinfrei)

Der maßgebliche Schritt zur Beendigung des Krieges gelang am 26. Juli 1866 im Vorfrieden von Nikolsburg, nachdem Österreich in der Hauptsache (Austritt aus der gesamtdeutschen Politik) nachgegeben hatte. Dieser Vorfrieden wurde später im Frieden von Prag mit Preußen bestätigt. Preußen annektierte am 1. Oktober 1866 vier seiner Kriegsgegner nördlich der Mainlinie, die zu preußischen Provinzen bzw. Teilen von Provinzen wurden. Dies waren das Königreich Hannover, das Kurfürstentum Hessen (Hessen-Kassel), das Herzogtum Nassau und die Freie Stadt Frankfurt. Hinzu kamen kleinere Gebiete des Königreichs Bayern und des Großherzogtums Hessen (Hessen-Darmstadt). Preußen schuf damit eine grenzenlose Verbindung zu seiner Rheinprovinz im Westen. 1867 wurden auch Schleswig und Holstein zur preußischen Provinz Schleswig-Holstein.

 

Quellen:

Seite „Heimatrecht“. In: Wikipedia – Die freie Enzyklopädie. Bearbeitungsstand: 23. November 2021, 18:07 UTC. URL: 

Meyers Großes Konversations-Lexikon, Stichwort „Heimat“, 

Kurt Merkator, „Der Heimatschein – der Personalausweis der Vergangenheit“, in Heimat- und Geschichtsverein Finthen e.V.,

Seite „Deutscher Krieg“. In: Wikipedia – Die freie Enzyklopädie. Bearbeitungsstand: 9. März 2022, 15:24 UTC. URL: (Abgerufen: 11. März 2022, 22:47 UTC)

Seite „Preußische Annexionen 1866“. In: Wikipedia – Die freie Enzyklopädie. Bearbeitungsstand: 5. Dezember 2021, 14:47 UTC.