Manege frei: Eine Reise durch die Welt des Zirkus

Über den Circus sind ganze Bücher geschrieben worden. Das ist selbstverständlich hier nicht meine Absicht, keine Angst. Ich möchte Sie nur kurz mitnehmen auf eine kleine Zeitreise. Natürlich benenne ich am Ende des Artikels auch die Zinnfiguren, die man verwenden kann, um für sich selber eine Zirkuswelt zu erschaffen. Wir werden einige alte Zirkusfamilien kennenlernen, deren Namen Sie sicher schon einmal gehört haben, aber bisher vielleicht nicht zuordnen konnten.

Das Diorama im Überblick

Denn Zirkusgeschichte ist bis heute auch immer Familiengeschichte. Was treibt diese Menschen an, täglich für wenig Lohn für das Vergnügen ihrer Mitmenschen ihr Leben und ihre Gesundheit aufs Spiel zu setzen? Dazu kein festes Heim zu haben, sondern von Ort zu Ort ziehend im Wohnwagen zu hausen. Es sind teilweise jahrhundertealte europäische Artistenfamilien, die ein anderes Leben nicht kennen und auch nicht wollen. Noch gibt es kleine und große Zirkusse, auch wenn sie jetzt sehr unter den Pandemiefolgen aufgrund des Auftrittsverbots leiden. Also, schnuppern Sie ein wenig Zirkusluft und begleiten Sie mich in die bunte Welt der Clowns und Dompteure, Artisten und Pferdedressuren. Pferdedressuren! Damit fing alles an.

Unsere kleine Zeitreise beginnt in England, genauer gesagt in London im Jahre 1766. Der ehrbare Philip Astley hatte sich im Siebenjährigen Krieg, den die Briten in Nordamerika gegen die Franzosen ausfochten, in der Kavallerie Seiner Majestät hochgedient bis zum Oberfeldwebel. Zuletzt war er zuständig für die Ausbildung der Rekruten. Als er entlassen wurde, schenkte ihm ein wohlwollender Vorgesetzter ein spanisches Reitpferd. Dieses konnte einige drollige Kunststückchen vorführen. Astley beschloss, diese zu vermarkten. Aber erst gründeten er und seine Frau in London ganz solide eine Reitschule, die vormittags betrieben wurde. Am Nachmittag gaben sie für ein zahlendes Publikum Vorstellungen mit dem spanischen Pferd, dazu kam Kunstreiten, die Hohe Schule, die beide vorführten.

Schon frühzeitig holte er Clowns und Akrobaten dazu, um die Leute noch mehr zu unterhalten. Er nannte sein Haus „Amphitheater“. Aber er war nicht allein, hatte seit 1782 einen gefährlichen Rivalen in London, mit dem er allerdings zu Beginn sogar zusammen aufgetreten war: Charles Hughes. Der nannte erstmals seinen Konkurrenzbau „Royal Circus“. Astley war somit keineswegs der Erste und Einzige, der den Menschen in einem festen Bau Kunststücke zeigte, aber er gilt als Gründer des modernen Zirkus. 1780 ist sein Unternehmen bereits so erfolgreich, dass sein neu erbautes Amphitheater bereits alle heutigen Elemente enthält: Manege, Bühne, Zuschauerraum und Orchester. Die Manege, dieses faszinierende Rund: Seit der Zeit von Astley ist sie immer 13 m im Durchmesser. Sie hat die optimale Größe und Form, denn die Zentrifugalkraft schützt den auf dem Pferderücken stehenden Kunstreiter vor einem Absturz. 1783 eröffnete Astley dann ein weiteres, ebenfalls erfolgreiches Amphitheater in Paris, pendelte damals schon immer zwischen London und Paris. Sein Sohn John wurde ebenfalls ein berühmter Kunstreiter. Verlassen wir jetzt die Familie Astley und machen einen Zeitsprung in das Jahr 1842. In diesem Jahr stirbt mit nur 54 Jahren der Kunstreiter und Zirkusunternehmer Rudolf Brilloff. Bis dahin hatte er viele junge Talente ausgebildet, die jetzt ihrerseits eigene Häuser in ganz Europa gründeten. Sein Unternehmen übernahm einer seiner Schüler, ein Mann, der ein ganz Großer der Szene werden sollte: der Athlet und Kunstreiter Ernst Jakob Renz. 1846 gründete er im schnell wachsenden Berlin im damaligen Preußen ein festes Haus. Er war auch dort nicht allein. Um die Gunst des Publikums buhlten der Kunstreiter Alessandro Guerra mit seiner Truppe und Eduard Wollschläger, ebenfalls ein Schüler von Rudolf Brilloff mit einem festen Zirkus vor dem Brandenburger Tor. Ernst Renz kam aus einer armen Seiltänzerfamilie, hatte sich aber im CIRCUS GYMNASTICUS in Wien unter dem Artisten Christoph de Bach hochgearbeitet. Schon lange reichte es nicht mehr aus, nur Kunstreiten darzubieten. Bereits Astley hatte Pantomimen mit Pferden für szenische Darstellungen im Programm. Renz‘ Künstler zeigten „Don Quichotte“ und „Der Heldentod des Marlborough“. Der Übergang vom Theater bzw. Varieté zum Zirkus war damals fließend und blieb es auch bis zum Zweiten Weltkrieg. Heute knüpfen große

Zirkusunternehmen wie Roncalli, der Cirque du Soleil und seit 2019 auch Krone mit ihren Programmen dort wieder an. Das Zirkuszelt, das Chapiteau, entstand erst, als der Zirkus Ende des 19. Jahrhunderts auf Reisen ging, um auch andere Städte und Länder, sogar in Übersee, zu bespielen. Aber es gab auch prächtige „Zirkuspaläste“ in Deutschland wie der von Krone in München, Hans Stosch-Sarrasani in Dresden, Busch in Hamburg, die tausenden Zuschauern bereits Platz boten. Erwähnenswert ist, dass die Herren Zirkusdirektoren nichts ohne ihre Ehefrauen und Töchter gewesen wären. Viele von ihnen waren berühmte Kunstreiterinnen: Neben Mrs Astley dann später auch Laura de Bach, Elvira, Elisa und Clotilde Guerra, Antonetta Renz und Constance Busch. Constance Busch war die Gattin des 1850 geborenen ehemaligen Kavalleristen Paul Busch, der freiwillig am Deutsch-Französischen Krieg 1870/71 teilgenommen hatte. Die Buschs gründeten 1884 einen Zirkus, expandierten schnell mit festen Häusern in Hamburg und Berlin. Eine Kunstreiterin machte sich einen besonderen Namen: Therese Renz geb. Stark. Sie hatte Franz, den Neffen und Nachfolger von Ernst Jakob geheiratet und war bis in die dreißiger Jahre des 20. Jahrhunderts die große alte Dame der Zirkuswelt, trat später dann im Zirkus Busch auf. Wagemutige junge Damen finden wir aber auch unter den Raubtierdompteusen. Im Zirkus Renz trat z. B. als „Thierbändigerin und Löwenbraut“ die siebzehnjährige Miss Senide alias Henriette Willardt aus Königsberg auf. 1892 starb der alte Renz und Franz gelang es nicht, den Betrieb, er hatte mittlerweile auch feste Häuser in Wien und Hamburg, zu halten. Paul Busch und Albert Schumann waren seine stärksten Konkurrenten, letzterer übernahm den Großteil des Betriebs. Das Renz-Haus in Breslau kaufte Paul Busch. Ein anderes Stichwort: Wildtiere im Zirkus. Was heute tierlieben Menschen grausen würde, gab im 19. Jahrhundert dem Publikum erst den richtigen Nervenkitzel. Die Raubtiere, in erster Linie Löwen, wurden vom Bändiger der „Bestien“ mit Stock, Peitsche und Pistolenschüssen gereizt und gequält, griffen ihn aufgrund seiner Dominanz im Käfig aber nicht an. Das angsterfüllte Publikum war tief beeindruckt von seinem heldenhaften Mut. Begründer dieser fragwürdigen, aber sehr erfolgreichen Art von Unterhaltung waren der Brite Thomas Batty und der Franzose Henri Martin in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Erst als sich 1892 zwei große Pioniere des Zirkus in Hamburg zusammensetzten, wurde aus einer Tierquälerei eine artgerechte Dressur: Wilhelm Hagenbeck und Carl Krone. Wilhelm, der Bruder des berühmten Zoogründers und Tierhändlers Carl Hagenbeck, hatte eine schlechte Meinung von Krones „Dompteurkünsten“: „Schiet mit de Leuwen“ nannte er dessen Vorführungen, die dieser als Monsieur Charles in seiner Menagerie Continental zeigte. Hagenbeck entwickelte in seiner Hamburger Dressurschule am Spielbudenplatz die tiergerechte, gewaltfreie Dressur. Er erfand dazu den Zentralkäfig, der in der Manege die Raubtiervorführung erst ermöglichte. Carl Krone entwarf dazu den Laufgang, worin die Tiere sicher in die Manege geführt wurden. Vorher wurden die Tiere nur in engen Käfigwagen vorgeführt, in denen sie auch gehalten und gequält wurden. Die Raubtierdressur blieb trotzdem lebensgefährlich, die Dompteure wussten, dass eine Großkatze oder ein Bär trotz gewisser Zähmung stets unberechenbar ist. Dennoch ließen sich die jungen Damen (und natürlich auch Herren) wie oben schon erwähnt nicht davon abhalten und sorgten für Nervenkitzel mit einem Schuss Erotik und Exotik beim Publikum, obwohl immer wieder schreckliche Unfälle passierten. Miss Senide hatte mit dem Kopf im Löwenmaul für einen Fotografen posiert, als unglücklicherweise in dem Moment das Licht ausging. Das Tier erschreckte sich und biss zu. Sie überlebte schwer verletzt und soll sogar weitergemacht haben mit ihren Vorführungen. Noch 2003 wurde der Dompteur Roy Horn von seinem weißen Tiger schwer verletzt („Siegfried und Roy“). Heute führen verantwortungsbewusste Tierlehrer, wie z. B. Jana Mandana Lacey-Krone und ihr Mann Martin Lacey jr. , die jetzigen Direktoren des Zirkus „Krone“, die Tradition „Tiere im Zirkus“ tiergerecht fort. Auch andere große Zirkusse wie Charles Knie oder Probst haben erstklassige Tiernummern im Programm. (Der Ausdruck Zirkusnummer kommt tatsächlich von der Auflistung im Zirkusprogramm). Die Zirkusgeschichte ist vielfältig und umfangreich, sprengt natürlich den Rahmen dieses Aufsatzes. Hier spiegelt sich auch deutsche bzw. europäische Geschichte wider, mit Licht und Schatten: Die jüdischen Zirkus-Familien Blumenfeld und Straßburger wurden von den Nazis im von ihnen besetzten Europa verfolgt und ermordet. Im Ostblock entstanden später Staatszirkusse, denn darauf wollte man auch hier nicht verzichten. Im Land der Superlative, den USA, wo alles ein bisschen größer ist als im alten Europa, fusionierte 1919 der Groß-Zirkus Ringling Bros. & Barnum & Bailey, der mit einem riesigen Tross per Eisenbahn und LKW durch das Land zog. Er konnte sich immerhin bis 2017 fast einhundert Jahre halten. Über Artisten, Clowns und die großen szenischen Darbietungen in den großen Zirkuspalästen in Berlin und München gibt es noch viel zu berichten, was ich in einem zweiten Aufsatz später auch noch machen möchte. Dazu will ich noch weitere Figuren bemalen. Für mein abgebildetes kleines Zirkus-Diorama habe ich die sehr humor- und liebevoll gestaltete 30 mm-Serie „Circus Varieté“ der Offizin Fechner vollständig verwendet (Gravur Rudolf Grünewald, Zeichner unbekannt). Zur Serie gehören der Eingangsbereich des Zeltes mit dem Hundedompteur und das Kassenhäuschen. Weitere Figuren habe ich der zweiten 30 mm-Serie
„Der Zirkus kommt“ entnommen. Dazu gibt es auf anderen Seiten im Shop Elefanten und Zuschauer. 2011 habe ich beim Besuch der Jahresausstellung der VfZ in Nürnberg einen schönen Elefanten als Tagungsfigur erworben. Dieser soll m. W. als Ergänzung dieser Serie dienen. Er und seine circensische Besatzung teilen bei mir aber noch das allseits verbreitete Schicksal so vieler Figuren: Sie sind noch nicht bemalt. Des Weiteren finden Sie im Online-Shop noch viele lustige Großfiguren zu dem Thema.

http://www.fechner-zinnfiguren.de/shop/katalog.php

http://www.vfz-ev.de/gallery/displayimage.php?album=47&pos=53

Bei der Offizin Heinrichsen gab es einen ganzen Zirkus um 1920. Bitte erfragen Sie die Lieferbarkeit bei Frau Dr. Grobe. http://www.heinrichsen.de/

Die Firma „Berliner Zinnfiguren“ hat Figuren der ehemaligen Offizin Spenkuch in 28 mm: https://www.zinnfigur.com/Flachfiguren/Spielzeugfiguren/Spenkuch/Unbemalt/Zivil-Serien/Im-Circus-klein.html

Clowns als Großfiguren für die Vitrine hat Karl-Werner Rieger in seinem Online –Shop http://www.zinnfiguren-rieger.de/

Weitere Hinweise über passende Figuren und zum Bau eines Dioramas zu dem Thema finden Sie in dem interessanten, zum Nachbau ihres Dioramas anregenden Artikel von Frau Angela Krappe in der „Zinnfigur“ Mai/Juni 2014: 1900 – Hurra, der Zirkus ist da.

Mein abgebildetes kleines Diorama (25 cm x 17,5 cm) eines Zirkus des 19. Jahrhunderts besteht aus 3 mm dicker Hartschaumplatte für den Modellbau, im Baumarkt erhältlich. Sie lässt sich leicht schneiden, kleben und mit Acrylfarben bemalen. Damit gestaltete ich Grundplatte, Zelt und Käfigwagen. Letztere wurden aus einer Platte geschnitten und sind somit fest verbunden. Für das Gitter des Wagens nahm ich ein Stück Käfiggitter von meinem alten Spielzeugzoo aus Kindertagen, die Räder sind aus Zinn. Das Streumaterial und der leider nicht ganz maßstabsgerechte Gartenzaun kommen aus dem Modelleisenbahnbereich. Für den Boden der Manege nahm ich Dekosand aus dem Ein-Euro-Laden. Die Manege gestaltete ich aus einer hölzernen Camembert-Dose. Das Podest, auf dem die drei Starken stehen, ist ein einfacher bemalter Plastikdeckel. Die Laternen sind aus Zinn. Ergänzt hatte ich die o.g. Fechner-Serien mit diversen Einzelfiguren aus meinem Bestand, teilweise umgebastelt (Inder, Löwenbändiger, Seiltänzer, Besucher, Löwe und Kobra).

Literatur und weitere Links:

Sylke Kirschnik, Manege frei! Bildband aus dem Theiss Verlag, sehr empfehlenswert, bietet einen guten Einstieg in die Geschichte des Zirkus.

Klaus-Dieter Kürschner: Von der Menagerie zum größten Cirkus Europas: KRONEhttps://www.circus-krone.com/wp-content/uploads/2