Die Lanze auf dem Marsch

GERRIET STENVERS

 

Der Ritter
Der Ritter

Wie vielen Sammlerfreunden erging es auch mir, als ich eine Zinnfigurenserie sah, die mich derart faszinierte, dass ich sie unbedingt in meine Sammlung aufnehmen wollte. Sehr schön bemalt und antiquarisch angeboten, konnte ich sie erwerben. Sie ist benannt „Die Lanze auf dem Marsch“ und umfasst Zinnfiguren aus der Epoche des Mittelalters.
Diese Serie passte zwar so gar nicht in mein Hauptsammelgebiet „Um 1700“, aber warum sollte man nicht `mal über den Tellerrand gucken? „Die Lanze“, nun ja, unter diesem Begriff konnte ich mir bis dahin nur die entsprechende Waffe vorstellen. Also war wieder einmal die Recherche im Internet angesagt! Nun, bei Wikipedia wurde ich fündig.

Danach war die Lanze die kleinste organisatorische Einheit in den Ritterheeren des Mittelalters und benannt nach der Hauptwaffe des Anführers. Angeführt von einem Ritter, gehörten zur Lanze sechs bis zehn bewaffnete Reiter. Darüber hinaus schlossen sich häufig bewaffnete Fußknechte der Gruppe an. Die „Lanze“ wurde allerdings nicht eigenständig als kämpfende Einheit eingesetzt, sondern spätestens vor einer Schlacht auf die jeweiligen Waffengattungen des Banners unter dem Bannerherrn aufgeteilt, also Panzerreiter, berittene Schützen und Fußvolk jeweils gemeinsam.
Bis ins frühe 14. Jahrhunderts setzte sich eine vollständige Lanze in Frankreich wie folgt zusammen: Der Ritter auf seinem Zelter, gefolgt von seinem Knappen, der das Schlachtross, die Stoßlanze und den schweren Topfhelm nachführte.

Der Knappe
Der Knappe
Das Schlachtross mit Fußvolk
Das Schlachtross mit Fußvolk

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Ferner gehörte zur Lanze ein sich vertraglich bindender (und darum besoldeter) Schwert- und Spießkämpfer (frz. coutiller), außerdem zwei bis sechs Bogen- und/oder Armbrustschützen.

Der "Coutiller"
Der „Coutiller“
Bogenschützen
Bogenschützen

 

 

ein weiterer Bogenschütze
ein weiterer Bogenschütze

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Als Nichtkämpfer galten der leicht bewaffnete Pferdeknecht und der Mundschenk, die nur auf dem Marsch einen Teil der Lanze bildeten, vor einer Schlacht jedoch im Heerlager zurückblieben. Diese konnten auch Stuten reiten, während den Waffenträgern nur männliche Pferde als Reittiere dienten.

Pferdeknecht
Pferdeknecht
Mundschenk m. den Mundvorräten des Ritters auf dem Spezial-Packsattel sowie Packpferd
Mundschenk m. den Mundvorräten des Ritters auf dem Spezial-Packsattel sowie Packpferd

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Häufig stießen ein oder mehrere voll bewaffnete adlige Reiter zur Lanze, wenn sie selbst (etwa als sog. Einschildritter oder Edelknechte) kein militärisches Gefolge aufbieten konnten oder wollten. Der Lanze konnten sich auch mehrere unterschiedlich stark gepanzerte Waffenknechte zu Fuß anschließen. Sie führten als Waffen Armbrust, Bogen, Spieß oder eine beliebige Stangen- bzw. Hiebwaffe mit sich.

Die meisten europäischen Ritterheere richteten sich in ihrer Zusammensetzung nach dem französischen Heeresaufgebot, deshalb war die Struktur der Lanzen zumindest in West- und Mitteleuropa ähnlich. Der Ritter musste seine Gefolgsleute auf eigene Kosten ausrüsten bzw. besolden, daher konnte die Anzahl und Qualität der in den Lanzen vereinigten Kämpfer und die der Pferde recht unterschiedlich ausfallen. Im Hochmittelalter gehörten bis zu 20 Bewaffnete zu einer Lanze, im Spätmittelalter sank die Zahl der vom König oder Kaiser geforderten Reiter auf fünf bis sechs.
Ein Banner bestand aus 4 bis 6 Lanzen und vereinigte bis zu 100 adlige und nichtadlige Kämpfer zu Pferd. Befehlshaber des Banners war der Bannerherr, der auch als Bannerritter bezeichnet wurde. Er durfte ein viereckiges Bannertuch führen, während dem Lanzenführer nur sein Pennon, ein dreieckiges Tuch in Wimpelform, als Lanzenschmuck gestattet war. Der Bannerherr befehligte in der Regel nur die Lanzen seiner eigenen Lehnsleute.
Leider konnte ich keine Angaben hinsichtlich Zeichner, Graveur und Herausgeber der Figuren machen, bis dieser Artikel zwischenzeitlich in der neuesten Ausgabe der „Zinnfigur“ erschienen ist. Nach dortiger Anmerkung der Redaktion wurden die Figuren von Frank Bähr gezeichnet, von Ernst Seidel graviert und können bei der Offizin Bähr und Schmidtchen, Leipzig, bezogen werden.
Quellen: Wikipedia, Artikel „Lanze (Militärischer Verband)“ und „Banner (Militärischer Verband)“,
Liliane und Fred Funcken, „Rüstungen und Kriegsgerät im Mittelalter“, München 1979,
„Die Zinnfigur“, Zeitschrift der KLIO Deutsche Gesellschaft der Freunde und Sammler kulturhistorischer Zinnfiguren e. V., Heft 4 April 2016.
Photos: Henning Voß